Neues und Historisches

Tagebücher aus dem Ersten Weltkrieg

Tagebücher aus dem Ersten Weltkrieg

i 7. Mai 2014 von U. Beyer

Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg. Aus diesem Anlass las beim Monatstreffen des Heimat- und Kulturkreises Willihard Kolbinger aus Tagebüchern seines Großvaters über die Kriegsjahre.
Josef Kolbinger lebte von 1872 bis 1965. Er wuchs in einer Bäckersfamilie in Kelheim auf und hatte ein bewegtes Leben. Seit 1889 führte er Tagebuch, das sein Enkel derzeit aus der Sütterlin- nun in Computerschrift überträgt, um sie als Buch zu veröffentlichen.

Schon kurz vor Kriegsausbruch im August 1914 beginnen die ersten Hamsterkäufe der Bevölkerung. Schon gibt es wilde Gerüchte über Spione. Verwandte werden zum Kriegsdienst eingezogen. Es gibt Gefechte an der Grenze. Die ersten Verwundeten kommen ins örtliche Lazarett, auch die ersten Gefallenen aus dem Ort werden gemeldet, darunter auch ein Verwandter.
Im Oktober wird Josef Kolbinger selbst zum Landsturm eingezogen. Da er bereits 42 ist, kommt er in die "Etappe" hinter den Kampflinien, wo er z.B. Postdienst leistet, bei der Lebensmittelversorgung der Soldaten, zum Feldbahnbau oder Schanzarbeiten eingesetzt wird.
Immer wieder schickt Kolbinger Bargeld und sogar Erdbeeren nach Hause, wo diese Sendungen einen Tag später eintreffen. Andererseits bekommt er Fresspakete von zu Hause. Sowohl das Postwesen als auch die Versorgungslage sind bis Anfang 1916 noch in Ordnung. Die Soldaten werden auf ihren Zugfahrten zu ihren Einsatzorten von der Bevölkerung gut versorgt. Auch in den Militärlagern gibt es reichlich Wurst und Bier sowie härtere Getränke, um die Stimmung zu heben. Allerdings klagt der Soldat gelegentlich über schlechte "Menage" (schlechtes Essen), weil die Vorgesetzten sich die besten Bissen und den Cognac für sich abzweigen. 1917 wird Kolbinger zum "Nachschaukommando" nach Treuchtlingen versetzt, von wo aus er auf den umliegenden Bauernhöfen Lebensmittel requirieren muss, was in diesem Kriegsstadium keine angenehme Aufgabe mehr ist.
Das Kampfgeschehen bekommt Kolbinger nur aus der Entfernung mit, in Hörweite. In Gent fallen ihm die Gräber von deutschen und belgischen Soldaten auf, die im Lazarett ihren Verwundungen erlegen sind; er beobachtet ein deutsches U-Boot, das durch den Kanal nach Brügge fährt; er erlebt während einer Zugfahrt den Bombenangriff der Engländer auf Ostende; er registriert zahlreiche Verwundetenzüge aus Ypern, z.B. mit durch Gas verwundeten Engländern.
Zeitweise wird Kolbinger zur Betreuung russischer Gefangener eingesetzt, die er z.B. mehrfach zum Zahnarzt begleitet, wo sie kostenlos behandelt werden. Das Verhältnis zu Kriegsgefangenen ist im Vergleich zu späteren Kriegen relativ menschlich.
Trotz Kriegsgeschehen ist es Josef Kolbinger möglich, an seinen Einsatzorten Spaziergänge zu machen, Sehenswürdigkeiten zu besichtigen und das Theater zu besuchen. Er ist vielseitig interessiert. So erwähnt er z.B. ein "glühendes Gerippe", das ihn beim Besuch eines Krematoriums besonders beeindruckt.
Von politischen Ereignissen, die den Krieg beeinflussen, bekommt Kolbinger - wohl wegen Nachrichtensperre - nicht sehr viel mit, so dass diese in seinem Tagebuch fehlen.
Ein Jahr vor Kriegsende wird Kolbinger aus Altersgründen frühzeitig entlassen.

Leider kamen zur Lesung nur sehr wenige Zuhörer, die aber zwei Stunden lang aufmerksam lauschten, denn die Beschreibung des Kriegsgeschehens aus ungewöhnlicher Sicht, der Sicht des Soldaten hinter der Kampflinie, war interessant.

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